generalistische Pflegeausbildung

Auswirkung des Pflegeberufegesetz auf die Entwicklung der Altenpflege 

Nun kommt sie doch, die heftig umstrittene generalistische Pflegeausbildung. Am 22.Juni 2017 verabschiedet der Deutsche Bundestag das neue Pflegeberufegesetz, auf dessen Umsetzung sich die Ausbildungsstätten nun bis 2020 einstellen müssen. Vorbereiten wird man sich jedoch erst können, wenn die Ausbildungs- und Prüfungsordnung feststeht, die erst noch entwickelt werden muss.  Als Lehrerin für Pflegeberufe und Vorsitzende des  Pflege-SHV hatte auch ich Bedenken und Alternativen zu diesem Gesetzesvorhaben eingebracht. In diesem Beitrag weise ich auf die voraussehbare Wirkung für die Altenpflege hin. 

Die Änderung der Pflegeausbildung bereitet vor allem Dienstleistern  in der Altenpflege Sorge. Schon heute fehlt es in diesem Bereich an Fachkräften. Stellen können nicht besetzt, die Fachkraftquote nicht gehalten werden. Um Leitungskräfte zu akquirieren, die bereit sind ihren Kopf für alles hinzuhalten und Beschwerden ins Leere laufen zu lassen,  werden vielerorts heute bereits hohe Prämien gezahlt und Sondervergütungen. Zudem wächst die Zahl alter Menschen die auf Pflege angewiesen sind.  In dieser bekannt schwierigen Lage, beschließt die Regierung ein Gesetz, das der Abschaffung des Altenpflegeberufes gleichkommt.

Auf der Seite des Bundesgesundheitsministeriums werden die Neuerungen wie folgt beschrieben:
„Alle Auszubildenden erhalten zwei Jahre lang eine gemeinsame, generalistisch ausgerichtete Ausbildung, mit der Möglichkeit einen Vertiefungsbereich in der praktischen Ausbildung zu wählen. Wer die generalistische Ausbildung im dritten Jahr fortsetzt, erwirbt den Abschluss zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann. Auszubildende, die ihren Schwerpunkt in der Pflege alter Menschen oder der Versorgung von Kindern und Jugendlichen sehen, können für das dritte Ausbildungsjahr statt des generalistischen Berufsabschlusses einen gesonderten Abschluss in der Altenpflege oder Kinderkrankenpflege erwerben. Sechs Jahre nach Beginn der neuen Ausbildung soll überprüft werden, ob für diese gesonderten Abschlüsse weiterhin Bedarf besteht.“

Mit der Auswahloption im letzten Ausbildungsjahr reagierte die Politik auf Befürchtungen seitens der Kinderkrankenpflege und Altenpflege.  Bezogen auf den Bereich Kinder lässt sich denken, dass diejenigen die gezielt eine Kinderklinik als Ausbildungsstätte gesucht haben, tatsächlich diese Vertiefungsrichtung wählen.   Warum jedoch sollte jemand  den Schwerpunkt Altenpflege wählen, wenn das Ansehen, die Bezahlung und Aufstiegsmöglichkeiten in der Kranken-/Kinderkrankenpflege deutlich besser sind?  Bisher entscheiden sich für den Altenpflegeberuf überwiegend Menschen, denen die theoretischen Anforderungen in vorgenannten Ausbildungsgängen zu hoch erscheinen. Die Altenpflegeausbildung gilt allgemein als weniger schwierig, weil der Schwerpunkt nicht im medizinischen sondern im sozialpflegerischen liegt. Bei einer Gleichschaltung des Lehrstoffs dürfte die  Theorie-Hürde, Berufsinteressenten mit weniger guten schulischen Voraussetzungen, generell abschrecken. Ein Großteil derer die heute eine dreijährige Ausbildung in der Altenpflege schaffen, und die Fachkraftquote dort sicherstellen, werden dann wohl nicht mehr diesen Status erreichen können.   

Auch aus anderen Gründen muss angenommen werden, dass die Zahl derer gering sein wird,  die sich an Altenpflegeeinrichtungen ausbilden lassen bzw. ihre Ausbildung nach drei Jahren mit dem Abschluss Altenpflegerin/-pfleger beenden. Infolgedessen  wird es für Heimbetreiber noch schwieriger Fachpersonal zu bekommen.  Will man die Heime nicht schließen, wird die Politik einer Senkung der Fachkraftquote zustimmen.  Im Ergebnis werden wir damit rechnen müssen, dass in deutschen Pflegeeinrichtungen bald nur noch Leitungsfunktionen mit Fachkräften besetzt sind, während die eigentliche Pflege und Betreuung von angelernten Hilfskräften, Auszubildenden, Praktikanten und Angehörigen erbracht wird.  Damit wären wir in der Altenpflege wieder auf dem Niveau von 1960 - 1980 angekommen, als die „Stationen“ in Pflegeheimen mit Krankenschwestern besetzt wurden, die vergleichbar der  „Stationsschwester  im Krankenhaus“ das Sagen hatte. Damit verbunden wäre zwangsläufig ein Rückfall ins Zeitalter der sogenannten „Funktionspflege“: Pflegemitarbeiter verrichten bei allen Bewohnern Funktionen für die sie angelernt wurden (Waschen, Kleiden, Essen anreichen, Beschäftigen etc.). Ungeachtet aller Studien und Erkenntnis, die der „Bezugspflege“ ganz klar die besseren Resultate bescheinigen, lässt es die Branche zu, dass bekanntermaßen schlechte Versorgungsstrukturen wieder überall zur Regel werden.  Vor allem der Pflegewissenschaft, die das neue Gesetz gefordert hat, muss hier Kurzsichtigkeit und Wunschdenken vorgeworfen werden.      

Noch gut erinnere ich mich an die in den siebziger Jahren  vorgebrachten Argumente, für eine bedarfsgerechtere Ausbildung von Fachkräften deren Haupteinsatzgebiet Pflegeheime sind.  Ein Hauptargument:  In den Altenheimen soll keine Krankenhausatmosphäre herrschen. Heime sollen schließlich dem Menschen eine letzte Heimat bieten. Mit Personal, dass gelernt hat (haben sollte), individuell angemessen auf die Bedürfnisse, Sorgen und Krankheiten von Menschen am Lebensende zu reagieren. Auf ihren Internetseiten versprechen Heimbetreiber eine menschlich und fachlich kompetente Pflege. Niemand gibt dort zu verstehen, dass zum Beispiel nachts nur eine Pflegekraft fürs Haus eingeteilt wird.  
Inzwischen sind gut 40 Jahre vergangen, in denen die geforderte und versprochene Qualität - trotz separater Altenpflegeausbildung und 50 Prozent Fachkraftquote selten umgesetzt werden kann.  Seit dieser Zeit stieg die Zahl der Pflegeplätze in Heimen von vielleicht 70.000 auf heute gut 700.000. Sie konnte in diesem Umfang überhaupt nur steigen, weil das benötigte Fachpersonal speziell für diesen Bereich ausgebildet wurde. Heute leben in Pflegeheimen nur noch Menschen mit erwiesenem Pflegebedarf. Überwiegend handelt es sich um demenzbetroffene, schwerstpflegebedürftige und sterbende alte Menschen, die aus ökonomischen Gründen ins Heim müssen.    

Ohne die  bisherige Altenpflegeausbildung wäre es in Deutschland nicht möglich gewesen, überhaupt so viele Altenheime betreiben zu können. 
Rund 700.000 pflegepflegebedürftige alte Menschen werden hierzulande stationär in Heimen versorgt und dies nicht selten in einer Weise, die es an Menschlichkeit vermissen lässt. Wer nach Hause will, von Angst und Unruhe getrieben ist, wird medikamentös ruhiggestellt und fixiert, weil menschliche Begleitung zu teuer erscheint. Angesichts dieser Entwicklung kann der Bürger im Grunde nur auf Selbsthilfe setzen. 

Das neue Pflegeberufegesetz wird im besten Falle dazu beitragen, dass über kurz oder lang   Heime nicht mehr in Betrieb genommen werden können oder geschlossen werden müssen, weil sie kein Fachpersonal finden. Diese Entwicklung sehe ich durchaus positiv.  Wir müssen hier in Deutschland weg kommen von der Sicherungsverwahrung alter Mitbürger*innen in Heimen. Dazu braucht es anderer Hilfestrukturen und Angebote.  

Leider jedoch ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass unsere Gesellschaft das Problem mit den pflegebedürftigen Alten weiterhin zu verdrängen und auszulagern versucht.  Wer hier nicht frühzeitig selbst Vorkehrungen trifft, muss damit rechnen sein Leben in einer der Verwahranstalten des deutschen Pflegesystems zu beenden.    

Adelheid von Stösser                                       Juli 2017